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„Berlin ist für mich eine interessante Folie“

Merchandising Berlinbiennale 3

Die 3. berlinbiennale beweist, dass Gedächtnisverlust ein verhältnismäßig schmerzfreier Zustand ist. 50 KünstlerInnen werden im Namen des „historisch aufgeladenen Standorts“ und seines „künstlerischen Kapitals“ auf das Thema „Berlin“ verpflichtet und haben doch zu ihrem Spielort nichts mehr zu sagen. Zuweilen streift zwar eine Arbeit unter autobiografischen Gesichtspunkten das historische Berlin. Einmal spielt auch ein Raum elegant mit dem Inventar des städtischen Lebens. Die harten Fakten, Zahlen und berlinischen Realitäten werden jedoch bereits an spezialisierte Dienstleister übertragen, zum Beispiel wenn die Kulturnetzwerker Jesko Fezer und Axel Wieder unter dem Schlagzeile „Urbane Konditionen“ die Quadratmeterpreise des neureichen städtischen Zentrums in appetitlichen Modellbauten exemplifizieren.

In weiterem Sinn ist hier alles Berlin, etwa wenn die Medienkunst ein neues Interface als Metapher urbaner Räume präsentiert. In engerem Sinn ist alles Tourismus, sogar dann, wenn die künstlerische Leiterin in einem ausschweifenden Interview ihr Konzept erklärt und dabei vom Schicksal eines örtlichen Luxuskaufhauses (teurer Ramsch) auf die Zukunft des "Versprechen Berlin" schließen will oder das Desinteresse des örtlichen Stadtmarketings an einer so hochmögenden Ausstellung beklagt. Mal ist da von der „real-estate-mäßigen“ Erschließung europäischer Großstädte die Rede, mal von Berlins Unfähigkeit zu einer ordentlichen Kunstpräsentation. Immer aber klingt es, als wolle sich die Chefkuratorin um die Intendanz eines staatstragenden Fernsehsenders bewerben, so ausgewogen und gremienfähig spricht sie von Re- und Umstrukturierungen, spezifischen Diskursen und dem Referenzrahmen, um den es gehe, selbst wenn man sich nach dem Verlassen des Ausstellungsgebäudes kaum noch an ihn erinnern kann.

Einerseits ist für Berlins mafiöse politische Vergangenheit, für seine Kaste unfähiger Politiker und untauglicher Kulturorganisatoren in der Ausstellung kein Platz. Berlins Krankheiten und die Hungersyndrome seiner freien Kulturproduzenten fügen sich nun einmal nicht in die Allerweltseleganz des kuratorischen Konzepts. Andererseits entziehen sich die regionalen ästhetischen Strategien der Berliner Szene, ihr Lavieren zwischen ökonomischem Zwang und fehlenden Ausstellungsgelegenheiten, zwischen Konzept und dörflicher Lokalität dem internationalen Marktmaßstab, um den die Ausstellung sich ebenso ehrgeizig wie beziehungslos bemüht. Was in Berlin passiert und den Bezirk Mitte 2004 vom Bezirk Mitte 1993 unterscheidet, wird in der Ausstellung nicht sichtbar gemacht. Mit welchen ästhetischen Visionen aber künftig die „Gegenwartskunst stärker in den Kontext einer Hauptstadt von mittlerweile 80 Millionen Menschen einbezogen“ werden kann, muss gänzlich nebelhaft bleiben, weil die Ausstellung keinerlei Bezug zu den Realien draußen vor der Tür herzustellen vermag. Die 3. berlinbiennale findet eben nicht an wechselnden Schauplätzen in Pankow oder dem Wedding statt. Sie übernimmt eben keine Verantwortung für das prekäre Verhältnis der Kunst zu den urbanen Repräsentationsbedürfnissen. Eine Beschreibung der spezifischen Talente der Kunst in einer veränderlichen lokalen Wirklichkeit wird von der künstlerischen Leiterin und ihren beschränkt mitspracheberechtigten lokalen Consultants nicht einmal skizziert.

Es gibt über diese Ausstellung wahrlich nichts besseres zu sagen, als dass es schlimmer hätte kommen können. Man sieht so etwas wie den gehobenen kuratorischen Mittelstand und es ist das Unglück der Kunst, dass sie dieser demokratischen Berücksichtigung aller Ansprüche ganz und gar widerstandslos unterliegt. Eine bösartige Kunst würde man sich in und von dieser Stadt wünschen. Positionen, die weh tun an einem Produktionsstandort, dessen ökonomisch gebeutelter künstlerischer Szene gerade das Schmerzempfinden abhanden zu kommen droht. Vor allem würde man sich wünschen, dass eine Biennale, die den Ortsnamen zitiert, mehr als nur Zitate künstlerischer Strategiemodule abbilden würde. Wer sich jedoch künstlerische Selbständigkeit oder radikalen Eigensinn erwarten würde, überschätzt die thematische Ernsthaftigkeit gegenwärtiger Ausstellungsprojekte. Statt Eigensinn zeigt die 3. berlinbiennale den ästhetischen Minimalkonsens. Es ist, wie es immer ist, wenn Ausstellungsmacher die Außenwelt als „interessante Folie“ begreifen. Die Kunst laboriert im Teamwork an den Gegebenheiten herum, gelangt aber nie aus ihrem aseptischen Schauraum hervor. Wenn man nicht ganz genau wüsste, dass Kunst andernorts widerspenstig, sarkastisch, unbeherrscht und gemein sein kann – man spräche nach dem Besuch dieser Biennale selbst dem Fernsehen mehr Realitätssinn als den Kunstwerken zu.
Weniger Wirklichkeit war nirgends.

 

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